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Ordnung der gemeinsamen Unabhängigen Kommission der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. zur Prüfung von Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids an Betroffene sexualisierter Gewalt

vom 16. November 2020

(Ges. u. VOBl Bd. 17 Nr. 7 S. 250)

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Der Landeskirchenrat hat in seiner Sitzung am 16. November 2020 neben der Bildung einer Unabhängigen Kommission (siehe Ges. u. VOBl. Bd. 17 Nr. 6 S. 221) folgende Ordnung für die Unabhängige Kommission beschlossen:
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§ 1
Rechtsgrundlage der gemeinsamen Unabhängigen Kommission

Die gemeinsame Unabhängige Kommission der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. zur Prüfung von Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids an Betroffene sexualisierter Gewalt (im Folgenden: Unabhängige Kommission) ist eine Einrichtung der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), der Lippischen Landeskirche (LLK) und des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. (Diakonie RWL).
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§ 2
Grundsätze der Arbeit der Unabhängigen Kommission

Die Unabhängige Kommission entscheidet über Anträge auf Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids. Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids sind Teil eines individuellen Anerkennungs- und Unterstützungssystems, mit dem die Träger der Unabhängigen Kommission ihre institutionelle Verantwortung für die sexualisierte Gewalt anerkennen, die Menschen in den zugehörigen kirchlichen Körperschaften und ihrer Diakonie erlitten haben. Kirche und Diakonie nehmen durch die Arbeit der Unabhängigen Kommission das Leid der Betroffenen und ihre damalige Ohnmacht wahr, geben ihnen die Möglichkeit, bisher Ungesagtes auszusprechen, schenken ihren Schilderungen Gehör und setzen sich mit dem individuellen Erleben Betroffener auseinander.
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§ 3
Voraussetzungen einer Leistung in Anerkennung erlittenen Leids

Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids können Personen beantragen, die sexualisierte Gewalt in einer kirchlichen Körperschaft der beteiligten Landeskirchen oder in einer Mitgliedseinrichtung der Diakonie RWL erlitten haben.
Eine Leistung in Anerkennung erlittenen Leids setzt voraus, dass
- plausibel ist, dass die antragstellende Person sexualisierte Gewalt durch Mitarbeitende im Sinne des Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt der EKIR, EKvW und LLK erlitten hat,
- sie zum Tatzeitpunkt minderjährig oder aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung des Willens erheblich eingeschränkt war,
- institutionelles Versagen einer der beteiligten Landeskirchen oder einer ihrer Körperschaften, der Diakonie RWL oder einer Mitgliedseinrichtung der Diakonie RWL für das erlittene Leid (mit)ursächlich war oder dieses Leid ermöglicht hat und
- die Durchsetzung von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld gegen die verantwortliche Person nicht mehr möglich ist.
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§ 4
Verfahrensablauf

Anträge auf Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids sind an die Fachstelle für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung (FUVSS) bei der Diakonie RWL als Geschäftsstelle der Unabhängigen Kommission zu richten. Die FUVSS oder eine von der EKiR beauftragte Stelle begleitet und unterstützt Personen bei der Antragstellung. Nach Entscheidung der Unabhängigen Kommission stellen die jeweils zuständigen Träger (zuständiges Landeskirchenamt bzw. Diakonie RWL) auf Anforderung durch die FUVSS die zu tragenden Anerkennungsleistungen zur Verfügung. Die FUVSS gibt der antragstellenden Person die Entscheidung der Unabhängigen Kommission bekannt und zahlt die Leistung in Anerkennung erlittenen Leids aus.
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§ 5
Grundsätze einer Leistung in Anerkennung erlittenen Leids

( 1 ) Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids sind freiwillige Leistungen. Sie werden einmalig, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Höhe der Leistung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art, der Dauer und den Folgewirkungen der erlittenen sexualisierten Gewalt.
( 2 ) Die Anwendung gleicher Maßstäbe zur Bemessung der Anerkennungsleistungen in allen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland wird angestrebt.
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§ 6
Verhältnis zu anderen Leistungen

Unterstützungsleistungen, die die Landeskirchen bzw. die Diakonie RWL auf Grund von Vorgaben der Geschäftsstelle des Fonds Sexueller Missbrauch aus dem Ergänzenden Hilfesystem des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewährt hat, werden auf eine Leistung in Anerkennung erlittenen Leids nicht angerechnet. Die beteiligten Kirchen bzw. die Diakonie RWL können auf der Grundlage eigener Regelungen neben den Leistungen in Anerkennung erlittenen Leids eine finanzielle Unterstützung zahlen, die noch andauernde Folgewirkungen der erlittenen sexualisierten Gewalt mildern soll.
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§ 7
Zusammensetzung der Unabhängigen Kommission

Die Unabhängige Kommission besteht aus mindestens drei Mitgliedern, möglichst verschiedenen Geschlechts, die unterschiedliche berufliche und persönliche Erfahrungen in die Kommissionsarbeit einbringen sollen. Sie sollen Grundkenntnisse im Themenbereich sexualisierter Gewalt in Institutionen und im Umgang mit traumatisierten Menschen haben. Ein Mitglied soll über eine traumatherapeutische oder psychologische Qualifikation verfügen, die in der Regel auf einer wissenschaftlichen Hochschulausbildung beruht. Alle müssen die Bereitschaft und Eignung mitbringen, den Auftrag der Landeskirchen und der Diakonie RWL (§ 2 Satz 3) zur Aufarbeitung individuellen Leids Betroffener zu erfüllen.
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§ 8
Mitglieder der Unabhängigen Kommission

( 1 ) Die Mitglieder der Unabhängigen Kommission werden vom Verwaltungsrat der Diakonie RWL im Einvernehmen mit den Kirchenleitungen der beteiligten Landeskirchen berufen. Ihre Amtszeit beträgt drei Jahre. Wiederberufungen sind möglich. Sie sind ehrenamtlich tätig und erhalten für ihre Tätigkeit eine Erstattung ihrer Auslagen.
( 2 ) Die Mitglieder der unabhängigen Kommission sind unabhängig und in ihren Entscheidungen als Kommissionsmitglied nicht an Weisungen eines kirchenleitenden Organs oder einer anderen Stelle aus Kirche oder Diakonie gebunden. Betrifft ein Antrag eine Körperschaft oder diakonische Einrichtung, die für ein Mitglied der Unabhängigen Kommission Anstellungskörperschaft oder Arbeitgeber ist oder war, wirkt dieses Mitglied an der Entscheidung über den Antrag nicht mit.
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§ 9
Verfahren der Unabhängigen Kommission

( 1 ) Die Unabhängige Kommission entscheidet nach Lage der Akten. Sie kann der antragstellenden Person nichtöffentliche Gespräche anbieten.
( 2 ) Auf Wunsch kann sich die betroffene Person begleiten lassen oder das Gespräch ausschließlich einer dritten Person übertragen. Satz 1 gilt auch, wenn die Unabhängige Kommission kein Gespräch durchführen kann, weil die betroffene Person dies nicht wünscht und alternativ auch keine dritte Person, die für sie spricht, benennt.
( 3 ) Die Unabhängige Kommission kann zu ihren Beratungen eine Vertreterin oder einen Vertreter der beauftragten Stellen im Sinne von § 4 Satz 2 hinzuziehen.
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§ 10
Beschwerdekommission

( 1 ) Gegen eine Entscheidung der gemeinsamen Unabhängigen Kommission kann die antragstellende Person innerhalb eines Monats nach schriftlicher Bekanntgabe der Entscheidung bei der hierfür eingerichteten Beschwerde-Kommission Beschwerde einlegen. Die Beschwerde ist schriftlich an die FUVSS zu richten. Alternativ kann die Beschwerde zu Protokoll der FUVSS vorgetragen werden. Über die Beschwerde entscheidet die Beschwerde-Kommission nach Aktenlage.
( 2 ) Sie besteht aus je einem Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, des Landeskirchenrates der Lippischen Landeskirche und des Verwaltungsrates der Diakonie RWL. An der Entscheidung über eine Beschwerde wirken nur diejenigen Mitglieder mit, deren Institution durch den Sachverhaltsvortrag nicht betroffen ist.
( 3 ) Die Kommissionsmitglieder handeln ehrenamtlich; ihre Auslagen werden nach allgemeinen Grundsätzen erstattet. Die Entscheidung der Beschwerde-Kommission ist endgültig; der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
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§ 11
Verpflichtung zur Verschwiegenheit

Die Mitglieder der Unabhängigen Kommission, der Beschwerdekommission und die anderen beruflich mit dem Verfahren befassten Personen sind zur Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen in Ausübung ihrer Tätigkeit bekanntgeworden sind.
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§ 12
Dokumentation und Austausch

( 1 ) Die Unabhängigen Kommission dokumentiert die von ihr bearbeiteten Fälle, insbesondere hält sie die Anzahl und die Höhe der Anerkennungsleistungen, sowie den Kontext fest, in dem die betroffene Person Leid erfahren hat.
( 2 ) Die Unabhängige Kommission kann sich regelmäßig mit den Unabhängigen Kommissionen der anderen Gliedkirchen und/oder ihrer diakonischen Werke austauschen.
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§ 13
Inkrafttreten und Übergangsvorschriften

( 1 ) Diese Ordnung tritt am 1. Januar 2021 in Kraft.
( 2 ) Anträge, die vor dem 01.01.2021 bei einer Unabhängigen Kommission der Träger gestellt und noch nicht beschieden wurden, werden nach den Regelungen dieser Ordnung weiterbearbeitet. Wurde einer betroffenen Person schon vor Inkrafttreten dieser Ordnung eine Anerkennungsleistung durch die gemeinsame Unabhängige Kommission der EKvW, der LLK und der Diakonie RWL oder durch die Unabhängigen Kommission der EKiR zuerkannt, kann die betroffene Person um erneute Entscheidung unter Zugrundelegung dieser Ordnung bitten. Auf eine höher festgelegte Anerkennungsleistung werden bereits geleistete Anerkennungszahlungen angerechnet. Kommt die Unabhängige Kommission zu dem Ergebnis, dass nach den Vorschriften dieser Ordnung eine niedrigere als die schon erfolgte pauschale Anerkennungsleistung zuzuerkennen wäre, bleibt die Erstentscheidung bestehen.